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die verwechslung von staat und partei, von macht und autorität. wo liegt die macht und wo die autorität?

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marxengelslenin setzten auf den sozialismus, weil sie dachten, das neue hat dem alten schonmal voraus, daß es neu ist, und das neue ist immer lustig. nun versucht aber das neue seit längerem, sich als ein altes zu verhalten, das nennt es stabilität. und natürlich bestehen noch immer viele siege des imperialismus einfach darin, daß er zuerst da war. wenn wir hier nur lange genug sitzen bleiben, dann setzt sich da zumindest kein anderer hin. wumm.

wenn da aber neuigkeiten geschehen, müssen wir die theorie selber machen. in einem land, wo die kommunisten immer hinter schreibtischen sitzen, wo ist der stillstand, wo die bewegung? ist das alter der stillstand, die jugend die bewegung? ist das alter, weil es viel weiß, zum lernen nicht mehr fähig? wird die unschuld der kinder unsere hoffnung? die konzepte sind romantisch und pubertär. romantisch ist die rede an die jugend, pubertär die verachtung in die richtung der alten.

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wenn die probleme gelöst sind, werden die konzeptionen unklar. seit vierzig jahren erzählen die zeitungen den bewohnern des landes von dem sieg der bewohner über das land. aber unser sieg, der seit vierzig jahren nichts anderes ist als immer bloß unser sieg, er macht uns angestrengt und mißtrauisch.

ständige anwesenheit vermindert den wert. eine klugheit, die hundertmal wiederholt wird, wird endlich trivial. - empört erzähle ich im institut, daß ich in der schule den satz lernte: dialektik ist, wenn die kommunisten nicht mehr weiter- wissen. da lachen sie! ein ddrkind lacht über diesen gelungenen scherz. es lacht, weil es eine wahrheit sieht in ihm. - dies ist eine erschreck- ende begebenheit.

kommunisten sind die, die immer die momentanen dummheiten verteidigen. wenn ich sage, daß ich in der partei bin, sagen die ddrleute: wieso, bist du für das verbot des sputnik? - das ist der irrtum der dissidenten. die dissidenten denken immer, also was ich früher so erzählt habe, das war ja mist, und da ich früher in der partei war und jetzt keinen mist mehr erzählen will, muß ich also raus aus der partei. - die partei selbst macht diesen unsinn mit. wenn ein ddrkind seinen lehrer fragt, warum um das land drumrum eine mauer steht, dann sagt der lehrer: bist du für oder gegen den sozialismus? eine ebenso erschöpfende wie idiotische antwort.

der sozialismus muß stark sein, wenn der frieden stark sein soll, und die ddr ist der sozia- lismus, und die führende kraft in der ddr ist die partei, und mein stabülehrer ist in der partei. wenn ich ihm also über den flur den schwamm nachtrage, dann bin ich teil der kommunistischen weltbewegung.

wo ein genosse ist, ist die partei; wo zwei genossen sind, sind zwei parteien.

in einer dummen situation hält man ja das bewußtsein der eigenen klugheit schlecht aus.

neues deutschland 9. april 1987 seite 8, ausflugstips zum wochenende. gedenklauf für ernst thälmann. der 111. ernst thälmann- gedenklauf wird am sonnabend in neustrelitz an der woldegker chausee veranstaltet. nach einem appell und anschließender kranzniederlegung stehen pokalläufe für frauen über 3,6 kilometer (start 8.20 uhr) und männer über 10,8 kilometer (start 8.30 uhr) sowie ein massenlauf für jedermann auf dem programm.

so bedrückend das auftreten der skinheads in der ddr ist, aber die berichte darüber erscheinen mir blauäugig. der gedankengang der kinder geht: wenn kommunismus das da ist, bin ich kein kommunist. wenn antifaschismus das da ist, bin ich kein antifaschist.

witze in der ddr sind ja theoriebildend. also: ein polizist stellt einen ausreiseantrag, das obligatorische gespräch wird geführt, der genosse hinter dem schreibtisch sagt zu unserem polizisten: was ist denn nun der grund für deinen antrag.
- ja, sagt der polizist, es sind eigentlich zwei gründe.
- zwei gründe.
- ja, zwei gründe. der erste grund ist, wenn hier alles mal ganz anders kommt, dann bin ich doch als erster dran.
- aber hör mal, hier kommt doch nicht alles ganz anders, hier ist doch alles stabil, hier ändert sich doch nichts.
- siehst du, und das ist der zweite grund.

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die kraft des marxismus, die die verhältnisse sprengen will, und die dann nicht gefragt ist, wissenschaftler klagen darüber. marxismus immer nur als ergebnis, als lehrsatz. wenn man es sich selber erarbeitet, erzählt ein soziologie- student, sieht man, daß es stimmt. man setzt sich in die bibliothek, liest die bürgerlichen bücher und kommt am schluß wirklich zu den sätzen, die man im seminar gelernt hat. warum aber haben mir die sätze vorher nicht genügt? warum ist der marxismus nicht so fantasielos wie diese lehrer?

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die neueste theorie ist: stalin hat das sowjetvolk betrogen. der schauspieler! bestimmt hat er in seinem innern tief drinnen immer lachen müssen. - das ist naiv. es gibt keine lügner. die geschehnisse geschehen nicht bösartig. wenn eine ethik uns retten würde, wie einfach wäre die revolution. auf mutter teresa können wir uns alle einigen.

auf dt 64 werden jetzt immer die pastoren interviewt, wie schön sie den sozialismus finden und daß jesus nur das beste wollte. der urkommunismus! wer fände ihn nicht wunderbar? als wir noch nicht auto gefahren sind, faßten sich die menschen immer an den händen und tanzten umeinander. in ihrem grenzenlosen legitimationsbedürfnis spürt die ddr auch noch die blödesten bündnispartner auf.

die einfache umkehrung dieses vorgangs ist der ständige satz: das darf man aber nicht dogmatisch nehmen. ein schwachsinn! man darf überhaupt gar nichts auf der welt dogmatisch nehmen, wenn wir uns auf solche begriffe einmal einlassen wollen. jede klugheit kann zu einer dummheit werden, ist das ein argument gegen die klugheit?

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geht eine gruppe von kindergartenkindern durch den wald. zeigt die kindergärtnerin auf ein eichhörnchen und sagt: na, liebe kinder, was haben wir denn da? meldet sich kleinfritzchen und sagt: also erstmal würd ick sagen, det issn eichhörnchen, aber wie ich den laden hier kenne, is det wieder lenin oder wer.

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es gibt eine einfache probe. frage jemanden nach seinem ideal und frage ihn nach der wirklich- keit. wenn er beginnt, sein ideal zu besingen, geht es los. wenn er über die wirklichkeit lamentiert, vergiß ihn.

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