SCHLAGER UND WELTREVOLUTION

Er bezeichnete sich selbst als „die Milva der deutschen Literatur“ und schrieb einst für Marianne Rosenberg einen Song über Ronald Reagan. Als kürzlich eine Ausstellung im Schwulen Museum Berlin an den Schriftsteller Ronald M. Schernikau erinnerte, verschlagwortete man ihn zärtlich als „Dichter, Diva, Kommunist“. Schernikau liebte nicht nur die Welt- revolution, sondern auch Männer, den deutschen Schlager, große Gesten und die durchgehende Kleinschreibung. Ein so gar nicht uneitler Kommunist: „ich staune jedesmal neu, wenn ich bemerke, daß jemand kein kommunist ist. der kommunismus liegt so auf der hand! aber vielleicht haben die anderen keine hand?“

Leben und Werk des Autors, der 1991 im Alter von 31 Jahren an den Folgen der Immunschwächekrankheit Aids starb, werden derzeit ein wenig wiederentdeckt. Man verehrt ihn im Internet, bei Lesungen werden seine Lieblingsplatten gespielt; der Hamburger Konkret Literatur Verlag hat sein 1989 erstmals erschienes Buch „Die Tage in L.“ neu aufgelegt (213 Seiten, 19,90 Euro). L., das steht für Leipzig und das Buch ist ein besonderes Buch über die DDR, mit der der Autor auf besondere Weise verbunden war.

Die deutsch-deutsche Fremdheit, das Unver- ständnis für die jeweils andere Seite ist das Thema dieses umfangreichen Essays, den Schernikau von 1986 bis 1988 als erster West-Student am Literaturinstitut der DDR in Leipzig schrieb. Untertitel: „darüber, daß die ddr und die brd sich niemals verständigen können, geschweige mittels ihrer literatur“. Ein Buch voller Aphorismen, Anekdoten und Alltagsbeobachtungen, ebenso intelligent wie witzig. Es geht um DDR-Bügeleisen oder den Disco-Hit „YMCA“, um Braunkohle oder die „Rocky Horror Picture Show“; um Elfriede Jelinek, Frank Schöbel, Heiner Müller, Kurt Hager. Schernikaus Prosa teilt mit, dass es alles andere als langweilig ist, einen Standpunkt zu haben. Es kann sogar sehr amüsant sein.

Die DDR (bei ihm ddr) war Schernikaus Sehnsucht und das hatte politische und biografische Gründe: Er wird 1960 in Magdeburg geboren, 1966 folgt die Mutter zusammen mit ihm dem Vater in den Westen. Die Beziehung scheitert, doch umkehren können Mutter und Sohn nicht. Sie leben in Lehrte bei Hannover. Ronald M. Schernikau tritt früh in die SDAJ ein, wird mit 16 Mitglied der DKP. Noch als Schüler schreibt er die „Kleinstadtnovelle“. Das literarische Debüt über ein Coming-Out in der Provinz wird viel gelobt. Nach dem Abitur beginnt Schernikau quasi seinen Rückweg in die DDR. Studium in Westberlin, Übertritt in die SEW. Dann Studium in Leipzig auf Grundlage des deutsch-deutschen Kulturabkommens. 1989 siedelt Schernikau schließlich in die DDR über, ausgerechnet in dem Herbst, der das Ende der DDR bringen wird. 1991 stirbt Schernikau, kurz nachdem er sein Großwerk „Legende“ abgeschlossen hat.

Mit seinem unbedingten Eintreten für die DDR stieß Schernikau auf beiden Seiten der Mauer auf eine gewisse Reserviertheit. Bei ihm steht die DDR für die Zukunft und die BRD für die Vergangenheit, fertig. Doch wie die Sache ausgehen würde, das schimmert immer wieder durch in sarkastisch-seherischen Beobachtungen wie dieser: „die feinschmeckeretage des kadewe nun immer vorneweg mit dem imperialismus, aber eine spezialität fehlt, das hat mich immer gewundert, das haben sie noch nicht begriffen, daß da etwas zu holen ist: sie haben keine ddrkola. nicht nur die massen von ddrexern würden sie kaufen; vor allem die leute, die ihr leben mit der suche nach dem neuen verbringen, nach dem schrillen und abgefahrenen. klubkola zu trinken wäre dann das endgültige zeichen von antikommunismus. und es wird, wir alle wissen es, so weit kommen.“

Hans-Hermann Kotte


aus: Süddeutsche Zeitung