Ein Höhepunkt des Bandes ist das bissige „Über Schlager in der DDR“. Darin schildert Schernikau nicht nur, wie es dem Schlager und seinen Interpretinnen und Interpreten unter der rigiden SEDKulturpolitik erging, sondern fasst auch sämtliche Oststars von Holger Biege bis Jürgen Walter in einem kleinen Lexikon zusammen. Über Dagmar Frederic notiert er: „Dagmar ist spezialisiert auf Partnergesang und heiratet sie jeweils.“ Anschließend stellt er seine persönliche „DDR-Hitparade“ auf und analysiert seinen Lieblingsschlager „Abends in der Stadt“ von Chris Doerk und Frank Schöbel. Das ist nicht nur purer Trash, da steckt auch verdammt viel Herzblut drin. Ebenfalls enthalten ist Schernikaus berühmte Rede, die er ein Jahr nach dem Mauerfall auf dem Schriftstellerkongress der DDR hielt. „Was mich verblüfft, ist die vollkommene Wehrlosigkeit, mit der dem Westen Einlaß gewährt wird“, schreibt der damals 29-Jährige, am Verrat seiner Genossen verzweifelnd, um zugleich ein neues sozialistisches Selbstbewusstsein zu generieren. Ebenso selbstbewusst stellt sich der Dichter in seiner Glosse „Fickt weiter!“ der Bedrohung durch Aids entgegen: „Wer jetzt aufhört zu ficken, sollte aufhörn zu rauchen trinken essen arbeiten autofahrn spraydosen benutzen lackfarbe plastik radios kinos menschen.“

Finn Bell für Siegessäule 11/09

 

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