"Ich hasse Negation"

Über die "Königin im Dreck" von Ronald M. Schernikau

2009 erschien ein Buch mit dem Titel "Der letzte Kommunist" und es erschien ein Buch mit dem Titel "Die letzte Kommunistin". Die Protagonisten beider Bücher waren jahrelang miteinander befreundet, beide waren Schriftsteller, beide waren Kommunisten, beide waren Mitglieder der DKP. Der eine hieß Ronald M. Schernikau, die andere Gisela Elsner.

Schernikau starb 1991 an den Folgen von AIDS, Elsner 1992 durch Suizid. Was bringt nun Autoren, Herausgeber und Verlage dazu, uns die beiden als die letzten ihrer Spezies verkaufen zu wollen? Ist es der Wunsch, den Kommunismus erledigt zu wissen? Ist es eine Werbeidee? Diesen Fragen wollen wir uns hier nicht widmen; befassen wir uns statt dessen mit Werk und Wirkung eines der beiden Genossen - anlässlich einer Neuerscheinung.

Thomas Keck ist der Herausgeber von Texten aus dem Schernikau-Nachlass. Unter dem Titel "Königin im Dreck" sind Beiträge für Zeitungen und Anthologien, Reportagen, Interviews, Gedichtinterpretationen und Berichte zu lesen - verfasst (und zum Teil veröffentlicht) zwischen 1980 und 1990.

Die Texte sind eine Fundgrube der Schernikauschen Betrachtung und Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Seine Beschreibungen sind präzise, sein Stil ist so eigensinnig wie brillant. Jeder Text, jedes Interview, jede Gedichtinterpretation eröffnet dem Leser eine erhellende, dabei oft auch heitere Sicht auf den behandelten Stoff. Die souveräne Haltung des Autors und sein sprachliches Können, seine Kunst lassen dem Leser keine Wahl - er ist nach der Lektüre unweigerlich klüger als zuvor. Eröffnet wird der Band mit einem Text "Über Gisela Elsner". Auf acht Buchseiten nimmt Schernikau eine Beschreibung des Werkes der Autorin vor, stellt sie in den Zusammenhang der gesellschaftlichen Prozesse, die in den Romanen und Erzählungen satirisch reflektiert werden. Als Schernikau den Text 1980 verfasste, war er zwanzig Jahre alt und lieferte eine der genauesten Werkbetrachtungen der Elsner. Er behandelt dabei Intention und Gelingen jedes der bis dahin veröffentlichen Bücher der Autorin - frei von jeder Lobhudelei.

Was kann man mit der "Königin im Dreck" lernen? Man kann z. B. politische Ökonomie mit dem Text "Der Weg der Brötchen in den Sozialismus" lernen. "In der DDR ist es nämlich so: Die Hälfte der Brötchen wird in staatlichen und Konsumbäckereien, die andere Hälfte in genossenschaftlichen und privaten Bäckereien gemacht. Die staatlichen schmecken nach Pappe, und die privaten kriegt man nicht." Schernikau stellt natürlich nicht nur die Frage sondern er klärt die Verhältnisse.

Dann kann man in kurzen Texten jeweils etwas über Irmtraud Morgner, Cox Habbema, Ingrid Caven und Romy Schneider lernen.

Wohl kaum ein anderer vernünftiger Mensch hat sich so gut und so gerne wie Schernikau mit der Schlagermusik der DDR beschäftigt - auch hierzu ist eine Arbeit im Band enthalten.

1986 erschien ein Text von Schernikau in dem von Matthias Frings herausgegebenen Band "Dimensionen einer Krankheit. AIDS". Es handelt sich dabei um eine Beschreibung der Arbeit von Ärzten und Pflegepersonal mit HIV-infizierten und AIDS-Patienten in der entsprechenden Abteilung eines großen Klinikums (München). Schernikau hatte diese Abteilung besucht, er schildert seine Beobachtungen und seine Gespräche mit dem Personal. Eine sachlichere und vernünftigere Beschäftigung mit dem Thema muss man lange suchen. 1986 war in der BRD die massiv schwulenfeindliche "AIDS-Hysterie" auf ihrem Höhepunkt. Thomas Keck hat diesen Text, ergänzt um Interviews und fehlende Passagen, nun nach der ursprünglichen Fassung des Typoskripts veröffentlicht.

"Können Tunten ernst sein?" heißt ein Text, der 1987 in der Westberliner Schwulenzeitung "Siegessäule" veröffentlicht wurde. Hier stellt Schernikau in einem Gespräch mit der Theatergruppe "Ladies Neid" sein eigenes Theaterstück "Die Schönheit" vor.

Kein Mensch hatte sich bisher die Frage gestellt "Was macht ein revolutionärer Künstler ohne Revolution". Schernikau tut es und gibt Antwort. Dieser Text, 1990 in der Literatur-konkret erstmals veröffentlicht, ist wohl die einzige umfassende marxistische Auseinandersetzung mit dem Werk Andy Warhols. Bereits als Jugendlicher hatte Schernikau drei Ziele für sich formuliert: Schwul sein, Schriftsteller sein, Kommunist sein. 1960 in Magdeburg geboren, im Westen aufgewachsen und ab 1986 Student am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig war er 1989 der letzte Westbürger, der die DDR-Staatsbürgerschaft beantragte und erhielt. Die durch innere Faktoren und gravierende eigene Fehler begünstigte Konterrevolution gegen die DDR hätte er selbstredend zu gerne verhindert gesehen aber sie erschütterte ihn nicht. Kaum einer war so klar wie er. Auf dem letzten Kongress des Schriftstellerverbandes der DDR, im März 1990, hielt er eine sehr bemerkenswerte Rede - politisch außerordentlich klug, gründlich in der Analyse und rhetorisch prägnant. "Der Sieg des Feindes versetzt mich nicht in Traurigkeit, eine Niederlage ist eine Niederlage, das sind Angelegenheiten bloß eines Jahrhunderts" lässt Schernikau seine DDR-Kollegen wissen und warnt sie: "Wer die Gewerkschaft fordert, wird den Unternehmerverband kriegen. ... Wer die Buntheit des Westens will, wird die Verzweiflung des Westens kriegen." Besagte Rede ist dankenswerterweise ungekürzt ebenfalls im hier besprochenen Band veröffentlicht.

Schernikau war der historische Optimist par excellence. Illusionen über den Klassenfeind hielt er für eine wesentliche Voraussetzung für die 1989 erfolgte Kapitulation. Ein Aspekt, auf den außer Schernikau kaum ein anderer Kommunist in dieser Deutlichkeit hingewiesen hat, ist folgender: "Der Westen hat, und das ist ein so alter Trick, die Moral eingeführt, um über Politik nicht reden zu müssen. Moral, weil sie unter allen möglichen Standpunkten ausgerechnet den herzzerreißenden wählt, macht sich selber handlungsunfähig; deshalb ist sie so beliebt. Einen Vorgang moralisieren heißt, ihm seinen Inhalt nehmen." Die Warnung vor moralischer Haltung statt Klassenstandpunkt ist insbesondere an seine Partei, die Kommunisten gerichtet. Wenn diese heute von "sozialen Grausamkeiten" reden und damit die Politik der Bourgeoisie zur Verschärfung der Ausbeutung meinen oder die Geschichte der kommunistischen Weltbewegung eben moralisch betrachten, erklären und zum Teil entschuldigen, negieren sie selbst deren Inhalt und den Klassencharakter aller Verhältnisse. Wenn die Kommunisten zum Kampf für einen "Politikwechsel" oder gerne auch mal zum "Richtungswechsel" aufrufen, ist das nicht die Arbeit, die uns nutzen, sondern die, die uns auf Dauer unkenntlich machen wird.

Die weltberühmte Anekdotenerzählerin Pasiphaë berichtet in dem Band "Was ist das hier?" über den ersten Besuch von Schernikau bei Peter Hacks. "... Die Frage für Hacks war nicht, ob Schernikau entzückend war, sondern was er taugte. In wenigen Minuten schon gelangte er zu dem Entschluss, sich auf ihn zu verlassen. Er begründete seinen Entschluss gegenüber einem Vertrauten. ´Er hat, erstens, fabelhafte Umgangsformen´, schrieb er, ´er hat, zweitens, die Weltrevolution in Westberlin erlernt, und Sie brauchen drittens Ihre Freundinnen nicht vor ihm zu hüten´." (Pasiphaë "Was ist das hier? - 130 Anekdoten über Peter Hacks und dreizehn anderweitige", Eulenspiegel Verlag, Berlin)

Mathias Meyers für die UZ 22. Januar 2010

 

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