In seiner Schernikau-Biografie berich­tet Frings von einer von ihm selbst und anderen geteilten Art, LEGENDE zu lesen: „Immer häufiger schlug ich die legende an einer beliebigen Stelle auf und las ein paar Absätze. Ohne es groß zu merken, hatte ich meine Art gefunden, das Buch zu lesen. Ich nutzte es als Steinbruch, manchmal als Orakel. Als das Werk Jahre später gedruckt vorlag, stellte sich heraus, dass fast alle Leser genau so verfuhren. Wenn es nicht so pudrig klänge, müsste man die legende als Schatzkästlein bezeichnen, zudem eins, das nie leer wird“. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass dieser Text, der sich selbst mit der Bibel parallelisiert, eine Le­sehaltung provoziert hat, die auf Erbauung durch zusammenhanglose Schriftstellen aus ist. Eine lineare Lektüre des Textes ist möglich, aber wohl kaum ausreichend. „Der Text“, schreibt Mielke, „verlangt seinen Leser*innen einen anderen als den linearen Leseprozess ab“. Wie sähe eine Lektüre aus, die der archivalisch-nachlasshaften Ver­fasst­heit des Textes angemessen ist? Was hieße es, LEGENDE archivalisch zu lesen? Es hieße, eine Arbeit verrichten, die das lesende Subjekt in den Stand versetzte, Kommunistin zu sein, das heißt an der „wirklichen Bewegung“ zu partizipieren, „welche den jetzigen Zustand aufhebt [Marx / Engels: Die deutsche Ideo­logie]“.

Benedikt Wolf, Weimarer Beiträge