UND ALS DER PRINZ MIT DEM KUTSCHER TANZTE, WAREN SIE SO SCHÖN, DASS DER GANZE HOF IN OHNMACHT FIEL ist der bislang einzige »utopische Film«, in dem Unterschriften für den Krefelder Appell gesammelt und besetzte Häuser geräumt werden. Junge verliebte Männer und ältere verlassene Frauen tragen die Haare nach der Mode, gehen ihrer banalen Arbeit nach, demonstrieren gegen Atomraketen und haben Spaß im Schwulencafé »Anderes Ufer«. Für eine Dystopie ist das zu heiter, für eine Utopie zu hiesig. Dieser Film spielt nicht in einem von Fouriers Phalanstères, sondern in »alternativgemütlichen« Wohngemeinschaften, nicht auf einem andern Planeten, sondern in unserem schäbigen Westberlin.

Schernikau braucht keine fernen Räume, fernen Zeiten. Er läßt die Erzählung in der Zeit spielen, in der sie geschrieben wird. Wir befinden uns im Jahr 1982, ungefähr im Juni. [...]

Die freie Liebe ist die Utopie, die durch den üblichen Schlamassel hindurch sichtbar und am Ende in einem rauschhaften Rummel gefeiert wird, in dem sich alle Handelnden miteinander vereinigen. [...]

Die Utopie besteht aber nicht nur in der entspannten Verbindung aller mit allen, sondern auch darin, daß keiner am andern festkleben muß. Der Intellektuelle Paul formuliert sie: »du bist entspannt mit wem, wenn er weggehn kann, ohne daß du traurig bist.« Pauls Geliebter, der schöne Dekorateur und Genosse Bruno, auf den der Name Erika besser paßte, gäbe es nicht in dieser Geschichte bereits eine Erika, kann diese Lehre einsehen, aber nicht beherzigen. In Bruno, aber auch in Tonio und Sabine ist das Melodram eingekapselt, das Max Ophüls, Douglas Sirk oder Fassbinder gedreht haben und das Schernikau nicht drehen wollte. Er will weder Promiskuität verordnen noch das Liebesleid verkleinern, aber er will auch nicht in das traurige, alte Lied vom Verlust einstimmen, sondern darauf hinaus, daß »in jedem alles ist«.


aus dem nachwort von stefan ripplinger